GAK verliert das einzige echte steirische Derby mit wehenden Fahnen und 2:3.
Menschenmassen hatten sich wieder einmal nach Liebenau gewälzt, 16.400 hatten für ein restlos ausverkauftes Stadion gesorgt, Graz hatte seinen Hunger auf „das“ Derby, das einzig echte eben, eindrucksvoll unter Beweis gestellt, die Straßenbahnen beförderten rote, schwarze und haufenweise Sido-Fans, die zum gleichzeitig stattfindenden Konzert wollten, Richtung Stadthalle, beziehungsweise Liebenau, Schlangen gab es vor allen Eingängen. Während die Gesänge der Nordkurve das Stadion durchliefen, durften dann viele rote und gemäßigte schwarze Fans, der Sicherheit wegen, im leichten Regen gute zwanzig Minuten bei wenig erheiternden Sangestexten auf Einlass in die Sektoren 15 bis 20 warten – dazu abschließend mehr. Denn im Zentrum der Betrachtung muss ein Spitzenspiel im österreichischen Cup stehen, das Graz hoffentlich nicht mehr lange in der Bundesliga fehlen wird. Kurz nach Spielende deponierte GAK Edelfeder und -fan Dieter Demmelmair auf Facebook, dass ihm zum Spiel nicht sehr viel zu sagen bliebe, als bloß einfach „Wow!“. Und dem ist, wenn man ehrlich ist, nicht viel hinzuzufügen.
„Ohne Begeisterung ist noch nie etwas Großes geschaffen worden“, sagt Ralph Waldo Emerson. Anders als Dieter Demmelmeier braucht er etwas mehr Worte, trifft aber das Gleiche. Und um diese Begeisterung – die der Akteure auf dem Rasen, die der Unterstützenden auf den Rängen – wirklich zu erleben, muss man ins Stadion gehen. Wie kühl wirkt das Spiel, das man am nächsten Tag in der TVThek nachsieht, im Vergleich zu der unglaublichen Rasanz, der großen Brisanz, der an Hysterie grenzenden Erregung, die man nur – und nochmals betont: AUSSCHLIESSLICH – im Stadion erlebt. Man erlebt einen überfallsartig startenden GAK, dessen Stürmer Daniel Maderner gleich in der ersten Minute ohne Ball und recht geschickt, jedenfalls aber regelwidrig im Strafraum zu Fall gebracht wird. Überhaupt wird es bis zur 5. Minute dauern, bis Sturm so etwas wie einen wirklichen Angriff zustande bringt, der zu einem Freistoß von rechts führt, den Wüthrich, Oberleitner ist bei ihm, kommt aber nicht in die Höhe, zum 1:0 präzise links unten in unser Tor setzt. In der Folge geht es hin und her, in der 13. und 14. Minute versucht der GAK so etwas wie schnelle Angriffsaktionen zu spielen, die Versuche verlaufen unbefriedigend – nicht zu Ende gespielt, so nennt man das wohl.
Dass der schwarze Gegner das Spiel ab der zweiten Viertelstunde in die Hand nimmt, ist sicher Tatsache. Dass daraus bei der routiniert und sicher spielenden Abwehr des GAK nichts Gefährliches erwächst, aber auch. Also muss man Jungstar Alexander Prass zweimal beim Wegschubsen von Gegnern ohne Ball zusehen, was Benjamin Rosenberger auf der andere Spielfeldseite dazu animiert, es ihm gleichzutun (aber nur einmal, der zurückgekehrte Benny erweist sich wie immer als harter, aber fairer Kämpfer). Standards müssen her, also beginnen Sturm-Spieler im Andenken an den Meister des Nutzens der schweren Erkrankung Fallsucht, Herrn Ivica V., so oft es die leichte Berührung durch den Gegner zulässt, hinzufallen. Schiri Lechner, nicht der Schlechteste übrigens, pfeift bei fallenden Männern im schwarzen Trikot jedenfalls lieber Freistöße als bei fallenden Rotjacken. So auch in Minute 23, wo ein nicht ungefährlicher Freistoß über die linke Kreuzecke fliegt. Zur Steuer der Gerechtigkeit muss erwähnt werden, dass der Schiri vier Minuten später Wüthrich, der Cheukoua durch harten Block am Starten eines vielversprechenden Angriffs hindert, die gelbe Karte zeigt. Und der GAK kämpft sich ins Spiel zurück. Ein Freistoß von rechts, kann von Scherpen nur einfäustig abgewehrt werden, der Ball kommt nach links zu Lichtenberger, der an der Strafraumgrenze seinen Gegenspieler aussteigen lässt und wunderbar zur Mitte flankt, wo Cheukoua sich den Ball sehenswert herunternimmt und unhaltbar einnetzt.
Dass der GAK mit einer 2:1-Führung in die Pause geht, ist der Hand Gottes zu verdanken. Der Herr der Welten lenkt nach einem Eckball das Spielgerät an die Hand von Yannick Oberleitner, von der der Ball ins Tor springt. In der Hektik des Spielgeschehens war das für den Schiri nicht zu erkennen. Und wie die TV-Thek zeigt, braucht auch der ORF drei Wiederholungen, bis das Handspiel wirklich klar erkennbar ist. Ob der Ball nach Hechtkopfball von Cheukoua nicht ohnehin ins Tor gegangen wäre? Möglich. Tatsache ist, der GAK führt, im Grazer Derby, dem einzig echten, falls ich das noch nicht erwähnt haben sollte. Der rote Teil des Stadions kocht über. Denn, wie sagte Ferdinand Raimund: „Begeisterung ist’s, die alles Edle schnell gebiert.“ So edel hat man sich als roter Fan schon lang nicht mehr fühlen dürfen. Daher sei auch auf die Leistung Benjamin Rosenbergers verwiesen, der den Eckball in der 36. Minute herausgeholt hat, der dann von Schriebl großartig getreten zum Hechtkopfball Cheukouas führte, der dann… Aber das haben wir ja schon besprochen. Es folgen gute letzte zehn Minuten der ersten Halbzeit, hektisch, aber geil. Leider verletzt sich Seedy Jatta wieder und wird in der 41. Minute durch Sarkaria ersetzt. In der 40. Minute steht Cheukoua angeblich im Abseits (die Aufzeichnung gibt keinen Aufschluss). Würde der GAK die eine oder andere Situation etwas konsequenter zu Ende spielen, wäre sogar ein drittes Tor im Bereich des Möglichen, so etwa in Minute 45, als Cheukouas Querpass auf Maderner, dessen Laufweg auch nicht ideal gelingt, ein klein wenig zu spät kommt. Große Begeisterung herrscht darüber, dass es zuletzt der GAK ist, der auf den dritten Treffer drängt – und viele fotografieren die Anzeigetafel, die den Pausenstand von 2:1 anzeigt.
Sturm nimmt zur Pause Hierländer vom Platz und bringt Texeira, man will und muss unbedingt gewinnen. Einen Sturmlauf startet aber zunächst der GAK. Einen Gegenstoß in der 47. Minute schließt Lang knapp links neben das Tor ab, keine Minute später rettet Scherpen nach Schuss von Cheukoua. In der 50. Minute wird wieder ein Angriff über Cheukoua nicht ideal zu Ende gespielt und in der Minute drauf entscheidet sich Maderner im Strafraum statt für den eigenen Schuss für einen Querpass auf Cheukoua, der in den Beinen der schwarzen Abwehr endet. In Minute 53 klatscht ein Schuss von Sturm ins rote Außennetzt, die Situation wirkte aber nicht wirklich gefährlich. Sturm gibt alles, um den Druck zu erhöhen, kann aber die schön herausgespielte Riesenchance von Lichtenberger in der 57. Minute nicht verhindern. Doch dessen gefühlvoller Lupfer geht knapp links am Tor vorbei. Das hätte es sein müssen, sagt man in solchen Fällen. Eine der dümmeren Fußballweisheiten meint ja, dass man Tore, die man nicht schießt, eben erhält, was natürlich Blödsinn ist. Freilich lässt man einem Gegner länger die Chance, zum Beispiel noch zum Ausgleich zu kommen – und Sturm kommt zum Ausgleich. Gerade hat Stadionsprecher Pascottini den Zuschauerrekord von 16.400 Besuchern verkündet, die Euphorie steigt. Aber dann: Ein langer Freistoß von links erreicht unseren Strafraum, Yannick Oberleitner entscheidet sich beim Klärungsversuch halblinks vor dem Tor unglücklicherweise für den linken statt den rechten Fuß und versenkt den Ball zum Ausgleich für Sturm. Oberleitner, der eine wirklich gute Partie spielt, hat nun nach der Hand Gottes auch den Fuß des Teufels zu spüren bekommen. Und es sollte leider nicht das letzte Gastgeschenk bleiben. Von einem toten Gegner zu sprechen, wäre angesichts der nicht nachgelassen habenden Bemühungen der Schwarzen falsch. Aber, sofern man ein hektisches, von überbordender Begeisterung getragenes Cupspiel überhaupt im Griff haben kann, hatte man die Partie soweit im Griff, hatte Chancen und nunmehr einem starken Gegner die zweite Luft in die Atemwege geblasen. Und der Druck nahm zu. Ein wenig war man wohl frustriert über den nicht notwendigen Gegentreffer, aber Sturm gelang es jedenfalls, auch noch ein weiteres Schäufelchen Kohlen in den Dampfkessel zu schippen. Man gab wirklich das Letzte, um dieses Spiel noch zu gewinnen. Ein weiterer langer Freistoß in der 70. Minute, der lange in der Luft war und auf unsere Querlatte fiel, war allerdings eine der wenigen gefährlichen Situationen, die kreiert werden konnten. Mit viel Härte agierten die Schwarzen jetzt auch – und man muss sich fragen, was Trainer Ilzer ständig gegen die Schiedsrichter vorzubringen weiß. An diesem Abend darf er sich (vom Handtreffer abgesehen) oft und oft für ausgebliebene Foulpfiffe bedanken, die mithalfen, dass seine Mannschaft die Intensität hochhalten konnte. Nach einer gelungenen Abwehr von Nicht (80. Minute) foult Stankovic Maderner recht dreckig. Der grundgütige Schiedsrichter sieht keinen besonderen Grund für die fällige Gelbe. Eine Minute drauf haut der eingewechselte Rusek aus großer Entfernung den Ball in die Arme von Scherpen. Sturm kreiert nunmehr das, was sie in der ersten Halbzeit so gar nicht geschaffen haben, nämlich Chancen. Doch unsere Abwehr steht recht sicher, wenn, ja, wenn dem wie immer großartig agierenden Jovicic nicht dieser eine fatale Fehler unterlaufen wäre. Im Ballbesitz gibt er das Gerät an den Gegenspieler ab, ein Pass auf Texeira, den viele im Abseits sehen (war er aber nicht), folgt. Der Stürmer hat wenig Mühe das – wie sich herausstellen wird – Siegestor zu erzielen. Die 84. Minute war es. Wenig Zeit bleibt auf der Uhr. Der GAK gibt alles, kann aber nicht mehr gefährlich genug werden. Auch wenn Cheukoua von Gazibegović im Strafraum geschickt gefoult wird, was eine Gelbe für Cheukoua zur Folge hat, der sich vom schwarzen Verteidiger nicht beschimpfen lässt. Zu wenig für einen Elfmeter, dumme Fußballweisheit, die zweite. Es war wohl ein Foul. Egal, der Schiedsrichter sah es anders. Man dominiert die dreiminütige Nachspielzeit durchaus, aber es bleibt dabei, mit zwei Gastgeschenken hat man ein Spiel verloren, das, und das ist dann dennoch ein klein wenig erfreulich, tatsächlich zu gewinnen war. Die derzeit beste Mannschaft Österreichs hatte einen ebenbürtigen Gegner gefunden. Ein Sturm-Knofel meldete sich nachher mit der Aussage, dass der GAK in dieser Saison der stärkste Gegner gewesen wäre. Dieter Demmelmair hat recht: Wow! Aber, es wäre mehr, viel mehr möglich gewesen.
Aber, wie die Milchmädchenmathematik zeigt, wird im schwarzroten Duell, dem Farbenspiel, immer nur einer gewinnen. Denn setzen wir den Zustand der absoluten Lichtfülle (Weiß) mit einem Wert 1000 gleich und somit adäquat den Zustand der absoluten Lichtlosigkeit (Schwarz) mit -1000, so ergibt sich: 0. Selbst wenn wir den Wert der Liebe (Rot) lediglich mit läppischen 50 gleichsetzen ergibt sich noch immer: 1050 (zu 0).
Zu sagen bleibt, dass man – wie ich – beim Aussteigen aus der Straßenbahn nicht mit „Stirb, stirb, stirb, GAK-Wichser“ empfangen werden möchte. Zu sagen bleibt, dass es „Fans“, die, mutig, mutig, einen hauptsächlich mit jungen Frauen besetzten Fanshop stürmen, dort Diebstähle begehen, wohl, um jene Fanutensilien, die später im Stadion verbrannt werden, zu „erobern“, so gar nicht braucht. Wenn die Folge solcher Überfälle Verletzte sind, ein Sturm-Fan landete im Graben, von zwei weiteren Verletzten wusste die Kleine Zeitung zu berichten, wenn deswegen Tausende disziplinierte Fans vor dem Stadioneingang warten müssen, weil die Sicherheit nicht gewährleistet ist, wenn gar die Absage des Spieles diskutiert werden muss, dann ist es klar, dass in den Köpfen solcher Fans schwerste Schäden vorherrschen. Fußball zum Kriegsschauplatz zu machen, ist angesichts der realen Kriege unserer Zeit eine ganz besonders schwere Verfehlung. Eines der schönsten Spiele der Welt, das, wie gestern, Tausende auf die Beine bringt und so vielen große Freude bereitet, zum Ventil für sinnlose Gewalttaten zu machen, muss verhindert werden. Strafverfolgung und lebenslange Stadionverbote sind das Mindeste, was hier die Folge sein müsste. Denn die Begeisterung, die gestern das Geschehen dominiert hat, ist ein Kraftspender der ganz besonderen Sorte. Besonderer Dank geht an jeden einzelnen roten Spieler, der gestern auf dem Platz gestanden ist (aber auch an den Gegner, der für ein rassiges, wenn auch fußballerisch nicht immer sooo… Ach, lassen wir das und nennen es Cupfight). Un deswegen bekommt der Dichter Christian Morgenstern das letzte Wort: „Glaube mir, dass eine Stunde der Begeisterung mehr gibt, als ein Jahr gleichmäßig und einförmig dahinziehenden Lebens.“
Alfred Haidacher